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Syrien 2008

Vorab frei nach Heraklit: vom stetigen Wandel…

Niemand aus unserer Reisegesellschaft konnte 2008 ahnen, dass unser Besuch auf viele Jahre hin der letzte in Syrien sein würde. Die Entwicklung hin zu dem schrecklichen Bürgerkrieg war damals nicht absehbar. Der Konflikt hat zwar seine Wurzeln in Syrien selbst, wäre aber ganz gewiß nicht zu dieser vorerst ausweglosen Abfolge von Gewalt und Gegengewalt eskaliert, wenn nicht in Syrien zugleich die widerstreitenden Interessen der regionalen Nachbarmächte Türkei, Iran, Irak, Saudi-Arabien, Jordanien, Israel und Libanon und auch jene der Großmächte USA und Russland aufeinanderprallten. Die Last der Auseinandersetzung tragen heute und über ein Ende des Krieges hinaus vor allem die Einwohner des Landes.

Syrien
Frieden. In Aleppo.

Ich habe mich bei der Überarbeitung meiner Homepage im Herbst 2015 entschieden, trotz der traurigen Umstände in Syrien selbst einige Eindrücke von unserer Reise in besseren Zeiten aufzunehmen. Dafür gibt es mehrere Gründe. In der Öffentlichkeit in Deutschland erscheint Syrien derzeit als apokalyptisches Schlachtfeld, auf dem sich Diktatur, irregeleitete Heilige Krieger aus vielen Ländern, kurdische Separatisten, iranische, russische und amerikanische Elitetruppen und einige weitere Gruppen gegenüberstehen. Die Dimension und chaotische Gemengelage des Konflikts verunsichern. Zugleich kommen aus dem Land Kriegsflüchtlinge bis zu uns, die die Bequemlichkeit unseres Wohlstands stören.

Angesichts dessen schadet ein Blick auf Syrien vor dem Ausbruch des Krieges nicht. Natürlich waren wir zu Gast in einem Land, in dem ein Präsident mit diktatorischer Macht herrschte. Für den Reisenden aus Deutschland ist das vor allem ungewohnt, aber mit der Ausreise wieder vorüber. Für die Einwohner Syriens bedeutete es auf Dauer einen restriktiven Rahmen, in dem sie ihr Leben einzurichten hatten. Und zwar ohne anzuecken, denn der Staat setzte sein Interesse rigide durch. Kein Wunder, dass Viele das Ausland vorgezogen haben. Andererseits war ähnlich wie im früheren Irak für einen gewissen Schutz von Minderheiten gesorgt, da es sich ausdrücklich nicht um ein religiöses Regime handelte. In dieser Hinsicht konnte Syrien als offener gelten als mehrere seiner Nachbarn. Und so sahen unsere Gesprächspartner – auch wenn kein Offizieller zuhören konnte – ihren politischen und gesellschaftlichen Alltag sehr differenziert mit den Einschränkungen, aber auch den Stärken. Und auch die offizielle deutsche Politik hatte sich vor dem Krieg ohne große Mühe mit der Regierung in Damaskus arrangiert. Es ist sehr traurig, mit anzusehen, wie schnell aus den legitimen Wünschen der Bürgerschaft ein Konflikt mit inzwischen überregionalen Auswirkungen geworden ist, aus dem es vorerst keinen Ausweg zu geben scheint.

Wir waren aber auch zu Gast in einem Land, das seit lange vor Beginn der christlichen Zeitrechnung von verschiedenen Hochkulturen geprägt wurde. Die Vielfalft des Erbes ist auf den ersten Blick kaum zu ahnen und spiegelt sich unter anderem auch in den zahlreichen Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Traditionen und Religionen wider. Syrien ist ein ungemein reiches Land, nicht nur, was sein materielles und immaterielles Kulturerbe angeht, sondern auch durch Natur und die kontrastreichen Landschaften von der milden Mittelmeerküste über karge Gebirgszüge bis zur Wüste. Vom relativen materiellen Wohlstand ist hingegen der Großteil dem Krieg zum Opfer gefallen. Trotzdem können und sollen die Erinnerungen hier nicht der Klage über die Verluste dienen, sondern Mut machen. Auch dieser Krieg wird enden, und die Menschen in Syrien werden ihr Land wieder aufbauen – es lohnt sich.

Mit Paulus nach Damaskus

Syrien
Das Konzertplakat von 2008

Nach dieser Vorrede ist schon klar, dass ich nicht alleine und nicht nur als Tourist nach Syrien gereist bin. Zu Pfingsten 2008 haben sich über 100 Solisten, Chorsängerinnen und -sänger sowie Orchestermusiker aus Heidelberg und Freiburg auf den Weg gemacht, um in Damaskus und Aleppo das Werk „Paulus“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy auf die Bühne zu bringen. Damaskus war 2008 arabische Kulturhauptstadt, weshalb auch von syrischer Seite großes Interesse an dem Projekt bestand. Denn die Idee war einfach bestechend, das große christliche Oratorium des aus einer jüdischen Familie stammenden Mendelssohn im christlichen Viertel des heute überwiegend islamisch geprägten Damaskus an einem seiner Originalschauplätze aufzuführen. Unser Engagement wurde damals auch von verschiedenen deutschen Stellen, besonders vom örtlichen Goethe-Institut, stark unterstützt. Eines der Konzerte wurde in voller Länge im syrischen Fernsehen übertragen.

Durch das musikalische Programm war die freie Reisezeit zwar begrenzt, aber gleichzeitig ergaben sich Einblicke quer durchs Land. Außer Damaskus kamen wir auch zur Ruinenstätte von Bosra weit im Süden nahe der jordanischen Grenze, ebenso ins Barada-Tal nordwestlich von Damaskus, nach Ma'alula am Antilibanon im Norden, und schließlich in der zweiten Etappe mit dem Zug an Homs und Hama vorbei nach Aleppo im Norden des Landes, wo auch damals schon die Nähe zur Türkei spürbar war.

Impressionen

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Damaskus

Die Hauptstadt verdient den ersten Platz. Das historische Zentrum liegt auf der Altstadt römischer Zeit. Dadurch waren einige große Straßenachsen festgelegt, obwohl sich in der Wohnbebauung durchaus die im arabischen Raum so häufigen verwinkelten Gässchen finden, die oft genug an einer Wand oder einer privaten Tür enden. Das eindrucksvollste öffentliche Bauwerk ist die Omajjaden-Moschee, die auf älteren Grundmauern an prominentester Stelle errichtet wurde. Aber es gibt auch Reste der Stadtbefestigungen aus römischer und späterer Zeit – Mauern, Gräben, Tore und eine Festung –, dazu prächtige Paläste, Herbergen und historische Wohnhäuser sowie einige weitere sehenswerte Moscheen. Im christlichen Viertel kommen dazu einige Kirchen und Klosterbauten, von denen die frühesten Anlagen noch aus römischer Zeit stammen. In Friedenszeiten war das belebte Marktviertel mit vielen Handwerkergässchen und der bekannten überdachten Souk-Straße eine Gegend, in der sich Einheimische und Touristen gleichermaßen beim Einkauf, im Teehaus oder bei einem Eis vergnügten.

Barada-Tal, Sednaya, Ma'alula

Das Barada-Tal biete nordwestlich von Damaskus eine fruchtbare Passage durch das Antilibanon-Gebirge in die zum heutigen Libanon gehörige Bekaa-Ebene. Durch diese fließt der schon in der Antike wichtige Fluss Orontes, und indirekt erschließt die Route auch die weiter im Westen jenseits des Libanongebirges folgenden bedeutenden Küstenstädte. Heute sind vor allem Haifa und Beirut zu nennen. So nimmt es nicht wunder, dass von der Gegend inzwischen auch als Fluchtkorridor und Kampfgebiet zu lesen war. Abgesehen von der landschaftlichen Schönheit sind auch historische Sehenswürdigkeiten vorhanden; die Bilderserie bietet Eindrücke von einer dominant gelegenen Höhensiedlung und von einer Engstelle des Tals. Dort wurde in römischer Zeit mit großem Aufwand die Straßenverbindung verbessert und eine Wasserleitung angelegt.

Nördlich von Damaskus an der Ostflanke des Antilibanon liegt Ma'alula und nicht weit davon Sednaya, beides Plätze mit langer christlicher Tradition. Auch in diese stillen Orte ist leider inzwischen der Krieg gekommen; das Ausmaß der Opfer und Schäden ist mir nicht bekannt. Zu sehen ist einerseits ein altes Kloster, andererseits ausgedehnte Felsnekropolen, teils auf den Bergkuppen gelegen, teils als schlichte Kistengräber in einem engen Tal, das zu einer Kirche hinabführt.

Bosra

Heute liegt nur ein kleiner Ort in den Ruinen der großen antiken Stadt Bosra, weit im Süden von Syrien nahe der Grenze zu Jordanien. Es ist also keine Überraschung, wenn Architektur und Skulptur dort nicht nur die verbreiteten römischen Einflüsse aufnehmen, sondern auch Erinnerungen an nabatäische Monumente und an die antiken Überreste in Palästina und Israel geweckt werden. Markant ist der dunkle, grobe örtliche Stein, der für fast alle Zwecke einschließlich Skulpturen Marmor oder andere feinere Werksteine ersetzen konnte. Jeder Reiseführer wird das beeindruckend gut erhaltene Theater abbilden, doch die weitläufigen Ruinen haben noch viele weitere Großbauten und eine große Menge fachlich interessanter Details zu bieten. Davon abgesehen kommt eine Gruppe von Musikern selbstredend nicht ohne ein improvisiertes Konzert an der Theaterbühne vorbei.

Aleppo

Die letzte Aufführung des „Paulus“ auf der Reise fand in Aleppo statt. Der Transfer von Damaskus erfolgte mit der Eisenbahn, und zwar in einem geradezu unwirklich modernen vollklimatisierten Schnellzug mit Ledersitzen und Service am Platz. Ein Sandsturm und eine größere Schafherde auf der Strecke sorgten zum Glück dafür, dass sich doch ein orientalisches Bahnreise-Gefühl einstellen konnte.

Die Altstadt von Aleppo wird beherrscht von der gewaltigen Zitadelle. Das Zentrum ist Schauplatz schwerster Kämpfe im Bürgerkrieg gewesen, sodass viele der Aufnahmen schon jetzt historisch sind. Das gilt etwa für die schwer zerstörte dortige Omajjaden-Moschee ebenso wie für den ausgedehnten überdachten Souk und natürlich auch die Zitadelle selbst, die auch heute noch Übersicht, Höhe und Deckung zu bieten hatte. All das ist umso bedauerlicher, als viel von der historischen Bausubstanz unter internationalem Schutz stand und der Erhalt auch durch UNESCO und World Monument Fund betrieben wurde. Ganz zu schweigen von der katastrophalen Situation der Einwohner, besonders der christlichen Minderheit, deren Gastfreundschaft wir genossen haben. Dennoch: Aleppo hat eine lange und große Vergangenheit, und es wird hoffentlich nicht mehr zu lange dauern, bis die Menschen dort wieder beginnen können, der Stadt auch wieder eine Zukunft im Frieden aufzubauen.







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