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Nysa
Blick von Nysa ins Mäandertal

Nysa ad Maeandrum

Die antike Stadt Nysa liegt am Nordrand des Mäandertals (h. Büyük Menderes), etwa 75 km von der türkisch-kleinasiatischen Küste und gut 27 km östlich von Aydın, wo die Nachbarstadt Tralleis lag. Auf Einladung des Grabungsdirektors Prof. Vedat İdil von der Universität Ankara begann 2002 (Vorkampagne) / 2003 ein von Prof. V. M. Strocka und Prof. G. Hiesel von der Universität Freiburg geleitetes archäologisches Forscherteam mit der Untersuchung des römischen Bibliotheksgebäudes von Nysa.

Die Bibliothek

Von 2004 bis 2006 nahm ich an den jeweils etwa sechswöchigen Grabungskampagnen teil, in denen der in Teilen noch bis zum Dachansatz erhaltene zweigeschossige Bau zunächst freigelegt und stabilisiert wurde. Die Bibliothek selbst, deren Hauptsaal von einem großen Tonnegewölbe überspannt war, ist vor allem von architekturgeschichtlichem Interesse. Allerdings war von der erkennbar aufwendigen hochkaiserzeitlichen Innenausstattung des ursprünglichen Baus nicht mehr viel vorhanden. Der Grund liegt in der interessanten weiteren Nutzungsgeschichte des Areals, das unterschiedlichen Zwecken diente, bis das antike Siedlungsareal von Nysa nach Ende der byzantinischen Herrschaft durch die islamische Eroberung gegen 1330 aufgegeben wurde und umliegend Nachfolgesiedlungen entstanden, vor allem das nächstgelegene Sultanhissar im Tal unterhalb der antiken Stadt.

Nysa
Bibliothek von Nysa

Einblick in diese Entwicklung gaben die Grabungsschnitte um das Bibliotheksgebäude, in denen sich nicht nur Reste älterer Bebauung fanden, sondern auch ein offenbar im Zusammenhang mit der Errichtung der Bibliothek eingebrachter prächtiger Marmorsarkophag, in dem ein Mann und eine Frau beigesetzt waren. Die naheliegendste Erklärung für die außergewöhnliche Bestattung innerhalb der Siedlung ist, dass die Personen ehrenhalber dort begraben wurden, am ehesten als Stifter des aufwendigen öffentlichen Baus.
Die Nutzung als Bibliothek mag vielleicht schon in früh- oder mittelbyzantinischer Zeit aufgegeben worden sein, als sich um das Gebäude ein kleinteiliges Gefüge aus Anbauten und Höfen entwickelte, was die Außenwirkung des repräsentativen Baus stark gemindert haben muss. Das Viertel war in dieser Phase anscheinend eher handwerklich geprägt, was die gefundenen Räumlichkeiten und eine Reihe von Funden vermuten lassen.
Doch schließlich verfiel auch dieses Quartier und in einer letzten Nutzungsperiode wurde die Bibliothek mit einigen Einbauten zu einer byzantinischen Friedhofskapelle umgenutzt. Ein Gräberfeld mit Ziegel-Steinkistengräbern wurde im flachen Hofbereich südlich der Hauptfassade angelegt. Da die meisten Grabkisten für mehrere aufeinander folgende Bestattungen genutzt worden sind, war der Friedhof über einen längeren Zeitraum in Benutzung und diente jedenfalls nicht einer einmaligen Beisetzung etwa von Opfern einer Seuche oder eines Konflikts.

Mein Arbeitsbereich hatte zunächst die Arbeit an den Schnitten mit Grabung und zeichnerischer Dokumentation umfasst. Er erweiterte sich bald kräftig, denn dazu traten ein beträchtlicher Teil der fotografischen Dokumentation der Feldarbeit und des Fundmaterials, die fotogrammetrische Dokumentation von Schnitten und Gebäudteilen und auch Vermessungsarbeiten.

Die Ergebnisse der Grabung in und an der Bibliothek von Nysa sind als Monographie veröffentlicht:

Volker Michael Strocka – Gerhard Hiesel – Simon Hoffmann
Die Bibliothek von Nysa am Mäander.
Mit Beiträgen von Karl Großschmidt, Fabian Kanz, Eva-Maria Kasubke, Nikolas Möller, Figen Müller, Elsbeth Raming, Gerd Sachs, Hans Taeuber, Ralf von den Hoff und Rainer Warland
Fachbereich für Klassische Archäologie der Ankara Universität – Institut für Archäologische Wissenschaften, Abteilung Klassische Archäologie, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.: Forschungen in Nysa am Mäander, Band 2
Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt/Mainz 2012

Für diesen Band habe ich federführend Redaktion, Gestaltung und Layout besorgt. Auf fachlicher Ebene habe ich die folgenden eigenen Beiträge zum Inhalt beigesteuert:

  • II. Die Bestattungen:
    • II. 1. a) Der Stiftersarkophag: Stratigraphische Einordnung, S. 29–31.
    • II. 2. Das Gräberfeld südlich der Bibliothek (1–10. 12. 13), S. 37–47.
  • III. Das Umfeld der Bibliothek (Grabungsergebnisse/Stratigraphie/Nutzungsgeschichte), S. 57–85.
  • IV. Die Funde:
    • IV. 4. Die Fundmünzen aus dem Bereich der Bibliothek, S. 100–106.
    • IV. 7. Metallfunde, S. 156–162.
    • IV. 8. Andere Kleinfunde (Volker Michael Strocka und Simon Hoffmann), S. 162–166.

Das Stadtgebiet

Nysa
Westlicher Stadtrand und Eskihisar

Für die Publikation erwies sich eine Nachbearbeitung des Fundmaterials aus der Bibliotheksgrabung an Ort und Stelle als erforderlich. Durch großzügige finanzielle Unterstützung aus der Privatwirtschaft ergab sich daraus 2008 auch die Möglichkeit zu einer rund zweiwöchigen Feldkampagne mit erweiterter Fragestellung unter Leitung von G. Hiesel, an deren Planung und Durchführung ich intensiv beteiligt war. Dabei wurde im Hinblick auf ein mögliches Anschlussprojekt in Nysa die allgemeine Kenntnis des antiken Stadtgebietes überprüft und verbessert.

Die maßgebliche ältere Veröffentlichung zu Nysa war bereits 1913 erschienen und enthält sowohl einen Stadtplan als auch Kartenskizzen aus dem Umland. Außer den seit hundert Jahren in groben Zügen bekannten öffentlichen Großbauten war über Struktur und Anlage der Stadt und ihrer Umgebung aber wenig bekannt. Ebenso war die Güte der publizierten Pläne ohne Gegenprüfung am Ort nicht genau einzuschätzen, außerdem stand zu erwarten, dass sich der Denkmälerbestand an der Oberfläche über das vergangene Jahrhundert verringert bzw. verändert hat. Wie die Grabung an der Bibliothek und die älteren Forschungen hatten sich auch die neueren türkischen Arbeiten auf die genaue Untersuchung einzelner Gebäudekomplexe konzentriert, so im Theater, an der Agora und im nahen Ratsgebäude, dort Gerontikon genannt, und auch im Gymnasion auf dem westlichen Stadthügel.

Nysa
Wiederverwendete Säulen in der Stadtmauer

In der uns zur Verfügung stehenden Zeit war nur eine zügige Begehung des Geländes möglich, dies aber immerhin für die gesamte Stadt und jene Teile der Umgebung, in denen Ruinenbestände zu erwarten waren. Im Einzelnen wurden in Augenschein genommen:

  • das gesamte innere Stadtgebiet mit den Stadtmauern
  • der östlich folgende Hügelzug mit einer vermutlich byzantinischen Burganlage
  • der von Norden an die Stadt herangeführte Aquädukt
  • die weitläufigen Nekropolen im Westen und Südwesten der Stadt mit ihren zahlreichen Grabbauten
  • die weitere Wegverbindung zum einige Kilometer westlich der Stadt gelegenen Plutonion von Acharaka
  • die an dieser Strecke gelegene große extraurbane Thermenanlage
  • Wegreste und Brücken, die vermutlich der Fernstraße nach Tralleis und durchs Mäandertal zuzuordnen sind
Nysa
Burganlage östlich der Kernstadt

Mit der gegebenen Zielsetzung war ein genauerer Oberflächensurvey nicht sinnvoll umzusetzen, weswegen insbesondere keine systematisch statistische, sondern nur eine qualitative Beobachtung der Oberflächenkeramik erfolgte. Die zahlreich vorhandenen oberirdisch sichtbaren Ruinen von Gebäuden wurden hingegen mit dem alten Plan- bzw. Kartenmaterial abgeglichen, mit fotografischen Übersichtsaufnahmen dokumentiert und mit tragbarem GPS grob kartiert (nominelle Genauigkeit i. d. R. zwischen 5 und 1 m), um 1. rasches Wiederauffinden sicherzustellen und 2. die kartierte relative Lage der im alten Planmaterial verzeichneten Objekte gegenzuprüfen. Die gesteckten Ziele konnten glücklicherweise trotz der knappen Zeit erreicht werden, und besonders der Plan des eigentlichen Stadtgebiets aus der älteren Publikation hat sich als in sich weitgehend stimmig und sehr gründlich erwiesen. Dabei bilden die im gesamten Stadtgebiet gewonnenen Erkenntnisse eine wertvolle Ergänzung der Fragen zum Straßensystem von Nysa, die sich allen dort tätigen Teams aufgedrängt hatten. Denn mit Fragen zur Stadtanlage und der Größe der Bebauungsblocks (Insulae) waren die Forscher an der Bibliothek ebenso wie im Bereich von Agora und Rathaus und am Gymnasion konfrontiert.

Insgesamt stellt sich der Ruinenbestand im Vergleich mit den 1913 veröffentlichten Fundstellen erfreulich dar. Wenn auch speziell an den oberirdisch exponierten Ruinen Verluste eingetreten sind, bietet das Areal insgesamt noch viel Potential. Da das Gelände inzwischen in wichtigen Teilen geschützt ist und nur noch landwirtschaftlich genutzt, aber nicht bebaut werden darf, bleibt zu hoffen, dass möglichst viele der interessanten Objekte weiter intakt bleiben und genauer erforscht werden können. Infolge der personellen und finanziellen Entwicklung haben sich die in Freiburg angedachten weiteren Untersuchungen bislang nicht auf den Weg bringen lassen.

Nysa
Säulen an der Agora

Im Gymnasion

Ich selbst hatte dennoch Gelegenheit, noch weiter in Nysa zu arbeiten, da ich 2010 bei der von Prof. M. Beckmann geleiteten Erforschung des Gymnasiums auf dem westlichen Stadthügel von Nysa durch ein kanadisches Forschungsteam mitwirken durfte. Prof. İdil hatte dort Jahre zuvor erste kleinräumige Schnitte angelegt, die aber nicht ausgereicht hatten, um die grundlegenden Fragen an den wichtigen öffentlichen Baukomplex zu beantworten. Zunächst ist das Alter der Gymnasiumsanlage von Belang, denn bereits Strabon, der in Nysa einen Teil seiner Ausbildung genossen hat, erwähnt ein Gymnasion im Westteil der Stadt, doch die oberirdisch sichtbaren Bauteile deuteten auf erst kaiserzeitliche Entstehung der jetzigen Anlage. Ferner war die bauliche Fassung der gewaltigen Palästra durch Hallenbauten anhand der sichtbaren Ruinen nur für einige Teile sicher festzustellen und für andere Bereiche waren Existenz und Form einer Umbauung des Platzes unsicher. Schließlich ist die Einbindung des Gymnasions in das Stadtgefüge von großem Interesse, denn es stößt im Osten an die antik von einem aufwendigen Circus-Bau überspannte tiefe Schlucht, die die Stadt teilt, im Süden an einen gewaltigen Gebäudekomplex nicht sicher bekannter Funktion, evtl. Thermen, und muss im Westen an Wohnbebauung gegrenzt haben. Meine Aufgaben bei den Kampagnen lagen abgesehen von der Mitarbeit an den Schnitten vor allem in der tachymetrischen Vermessung im untersuchten Areal, das vom bestehenden Messpunktnetz zunächst noch unzureichend abgedeckt war.







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